Mahlzeit_Einleser_Vorwort_Kap50 - page 9

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In Frankreich definiert man den Begriff viel weiter. Der
„ami“ umschließt auch gute Bekannte, Lebensabschnittsge-
fährten, und selbst Menschen, mit denen man die Schulbank
drückte und die man Jahrzehnte lang nicht mehr gesehen hat,
werden schnell wieder zum Freund. Daneben gibt es in
Frankreich den „guten Freund“. Mit ihm ist man „bien ami“.
Oft gibt es dazu den Hinweis, dass man schon mal mit ihm
gegessen hat.
Diese Sprachregelung musste ich als Verleger akzeptieren.
Er hat sich nun mal in den vergangenen fünfzehn Jahren
dieses Sprachmuster angeeignet, und er wollte sich für dieses
Buch partout nicht davon trennen. Die Umkehrung wäre
problematischer.
Beim Titel wurden wir uns schnell einig. Eine Mahlzeit ist ja
nicht nur ein kulinarisches Produkt, das dazu dient, den
Hunger zu stillen und die Geschmacksnerven zu verwöhnen.
Das Wort „Mahlzeit“ ist auch durchaus als Gruß geeignet,
vor allem kurz vor Mittag auf dem Weg zur Kantine.
Interessant, dass dieser Gruß einen Säkularisierungsprozess
hinter sich hat. Von seiner ursprünglichen Fassung haben
wir uns alle verabschiedet, indem wir das Wort davor, das
„Gesegnete“,
weglassen.
Verbitterte Zeitgenossen haben
durchaus die Möglichkeit, nach dem Lesen dieses Buches ihr
Missfallen ausdrücken und Dinge zu sagen wie „Na, dann
Mahlzeit!“. Sie mögen vielleicht Recht haben, aber sehr
originell ist das nicht. Ihre Beschimpfung wäre im Grunde
ein Plagiat.
Für Gerhard selbst ist der Buchtitel „Mahlzeit“ vor allem
eine Verbeugung vor Fritz und Gerti Weissenbach. Für beide
schrieb er von Mitte bis Ende der siebziger Jahre zweimal in
der Woche einen mehr oder weniger witzigen Dialog. Die
Weissenbachs verbreiteten ihn in saarländischer Mundart
über die Europawelle Saar. In seinem Saarland-Archiv in
Südfrankreich (nur wenig größer als sein Badezimmer) steht
unweit seiner Gag-Kartei ein Papp-Container mit der
Aufschrift „Mahlzeit-Sketches“.
Drinnen sind mehrere
hundert Texte, die alle eins gemeinsam haben: Zum Schluss,
um 5 Minuten vor 12 Uhr mittags, sagten beide immer im
Chor: „Mahlzeit!“ – Die Weissenbachs haben sehr viele
Menschen sehr viele Jahre lang bei guter Laune gehalten. Sie
waren, wie eine gute Mahlzeit, ein Bollwerk gegen die
Verwilderung. Fritz und Gerti mussten immer das letzte
Wort haben. Und jetzt hat es Gerhard Bungert.
Mahlzeit!
Holger Gettmann
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