Mahlzeit_Einleser_Vorwort_Kap50 - page 7

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Jahrtausend hinein.
Ausgangspunkt
ist
Gerhards
Heimatgemeinde, die seit 1974 – wie manche emanzipierte
Frauen – einen Doppelnamen trägt: Spiesen-Elversberg. Aber es
geht nicht nur um das Saarland. Andere kulinarische Erlebnisse
kommen dazu – in Italien, England und der Schweiz, in Polen
und in der Sowjetrepublik Georgien. In Spanien verbrachte er
bisher mehr als vier Jahre seines Lebens, in Frankreich mehr als
vierzehn. Die Messlatte für seine Erkenntnisse steht aber noch
immer in Spiesen auf dem Butterberg.
Laut Aussagen von zwei Freunden, dem früheren SR-
Unterhaltungsredakteur Lutz Hahn (ein Entdecker von Hape
Kerkeling)
und Diether Breitenbach (ein früherer
Kultusminister) hat Gerhard es weniger mit der Literatur, eher
mit der Kommunikation. Er selbst legt großen Wert auf die
Verwandtschaftsverhältnisse dieses Begriffes mit Kommune,
Kommunalpolitik, Kommunion und Kommunismus.
Gerhard ist ein bodenständiger Kommunikator: Bei vielen
Themen hält er sich als Autor an die derbe Anweisung
Martin Luthers und schaut dem Volk aufs Maul. Er hört aber
nicht nur genau zu, was die Leute so sagen. Ihn interessiert
auch das „Wie“. Das ist Kommunikation, und daraus kann
man viel lernen. Die Spanier übersetzen die Redewendung
Luthers mit „tomar el pulse a alguien“. Wörtlich übersetzt
heißt das: „jemandem den Puls fühlen“. Dann ist man, um
auf eine andere Redewendung überzuleiten, auch eher „am
Puls der Zeit“. Gerhard gehört übrigens nicht zu jenen, die
nur deshalb dem Volk aufs Maul schauen, um ihm besser
nach dem Mund reden zu können. Dafür gibt es in diesem
Buch mehrere Beispiele.
Beim Schreiben stellten sich für den Autor einige
dramaturgische Probleme. Die Gründe:
Gerhard liebt
saarländischen Thekendialoge (Sei so gudd unn glaab mirs!) .
Als Ausgleich dazu wird er manchmal etwas zu gelehrig
(Dafür gibt es auch einen Ausdruck, der mit „Klug“ beginnt
und mit der vulgären Bezeichnung für einen Menschen
endet, der sich der Schlussphase des Verdauungsvorganges
widmet) .
Zu allem Überfluss leiden wir beide seit
Jahrzehnten unter der Berufskrankheit von Soziologen: Wir
interessieren uns für jeden Scheiß und fühlen uns recht wohl
in der Rolle eines „Universaldilettanten“.
Gerhard hatte auch den Anspruch, ein „ansprechendes“ und
kein „anschreibendes“ Buch zu publizieren. Im Klartext
heißt das: Annäherung an die gesprochene Sprache. Zum
Teil ist ihm das auch gelungen. Was mir auch aufgefallen ist:
Er zeigt in seinem Schreibstil, was er so alles kann. Er macht
das, was wir im Gespräch mit gescheiten Menschen auch
bisweilen tun: Wir springen hin und her zwischen dem Stil
von Tagebüchern und Seminararbeiten, und dazwischen
wird es mal fast literarisch und an der richtigen Stelle auch
satirisch. Für ihn ist dieser fortlaufende Stilwechsel ein Killer
der Langeweile, des Gegenteils jeder Kunst.
Selbstverständlich kann und will er damit kein Vorreiter sein
für Autoren wissenschaftlicher Sachbücher.
Die
funktionieren anders. Das Buch kommt aber jenen Lesern
entgegen, die gerne schmökern. Die Zahl derer, die Tolstois
„Krieg und Frieden“ von vorne bis hinten lesen, geht
offensichtlich immer weiter zurück. Das Internet hat einen
Prozess beschleunigt, der an vergleichbare Entwicklungen
erinnert: Die Erfindung der Fotografie verminderte die
Abbildungsfunktion der Bildenden Kunst und förderte deren
Entwicklung hin zur abstrakten Malerei. Das Fernsehen
verdrängt das Hörspiel oder ließ ihm nur noch eine kleine
Ecke für Sprachartisten.
Beim Buch haben ähnliche
Entwicklungen bereits begonnen. Man denke etwa an die
Verquickung von Büchern mit Fernsehsendungen und –stars,
1,2,3,4,5,6 8,9,10,11,12,13,14,15,16
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